VW-Musterfeststellungsklage oder Mogelpackung im Dieselskandal

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Nun ist es also soweit. Der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv) wird in Kooperation mit dem ADAC, vertreten durch eine eigens gegründete „anwaltliche Spezialgesellschaft“, am 01.11.2018 eine Musterfeststellungsklage gegen die Volkswagen AG aufgrund des Abgasskandals einreichen. Während die neue Klagemöglichkeit meist als großer Fortschritt für den Verbraucherschutz gefeiert wird, erweist sich die Musterfeststellungsklage für Geschädigte des Dieselskandals im Ergebnis leider als Mogelpackung.

Hintergrund

Das Ziel des Gesetzes zur Einführung einer Musterfeststellungsklage klingt gut. Die Rechtsdurchsetzung bei unrechtmäßigen Verhaltensweisen von Konzernen soll für gleichartig geschädigte Verbraucher verbessert werden. Wie auch die hektischen Aktivitäten in dem Gesetzgebungsverfahren zeigten, hatte die Politik insbesondere die durch die Dieselaffäre betroffenen Autokäufer im Blick. Denn im VW- Abgasskandal tickt die Uhr. Bereits Ende 2018 verjähren Schadensersatzansprüche gegen die Volkswagen AG.

Besitzer der Marken VW, Audi, Seat und Skoda mit Dieselmotoren des Typs EA 189, in denen eine illegale Abschalteinrichtung verwendet worden ist, können sich nunmehr, voraussichtlich frühestens ab Mitte November 2018, durch Anmeldung zum Klageregister der Musterfeststellungsklage anschließen. Durch die wirksame Anmeldung zum Klageregister wird die Verjährung gehemmt.

Nachdem die Bundesregierung durchwegs ihre schützende Hand über die Autoindustrie gehalten hat, stellt sich die Frage, ob durch die neue Musterfeststellungsklage neben der verjährungshemmenden Wirkung tatsächlich ein Umdenken hin zu einem tatsächlich effektiven Verbraucherschutz stattgefunden hat. Nach Auffassung der Kanzlei Dr. Hoffmann & Partner Rechtsanwälte, die eine Vielzahl von Mandanten aus dem Bereich des Dieselskandals betreut, ist dies leider mitnichten der Fall.

Problematischer Gerichtsstand

Die Rechtsprechung dreht sich im gesamten Bundesgebiet immer mehr zugunsten der vom Dieselskandal betroffenen Autobesitzer. Bundesweit geben immer mehr Gerichte den Geschädigten Recht. Eine Schadensersatzverpflichtung der Volkswagen AG wird hierbei meistens auf die Generalklausel des § 826 BGB wegen einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung gestützt. In diesem Sinne entschieden beispielsweise das LG Hildesheim, Urteil vom 17.01.2017, 3 O 139/16, das LG Osnabrück, Urteil vom 28.06.2017, 1 O 29/17, das LG Offenburg, Urteil vom 12.5.2017, 6 O 119/16; das LG Kleve, Urteil vom 31.03.2017, 3 O 252/16, das LG Arnsberg, Urteil vom 14.06.2017, 1 O 227/16, das LG Frankfurt (Oder), Urteil vom 17.07.2017, 13 O 174/16, das LG Baden-Baden, Urteil vom 27.04.2017, 3 O 163/16, das LG Karlsruhe, Urteil vom 22.03.2017, 4 O 118/16, das LG Bochum, Urteil vom 29.12.2017, I-6 O 96/17, das LG Würzburg, Urteil vom 23.02.2018, 71 O 862/16 und das LG Trier, Urteil vom 20.06.2018, 5 O 12/18.

Als Negativbeispiel sticht das LG Braunschweig sehr deutlich heraus. Die durch den ADAC zusammengestellte Rechtsprechungsübersicht zur Abgasthematik (EA 189) beinhaltet insgesamt 213 Gerichtsverfahren gegen den Hersteller. Hiervon ergingen gegen VW 169 Urteile. 44 mal wurden die Klagen der Geschädigten demgegenüber durch Gerichte abgewiesen.

Von diesen 44 Entscheidungen erließ das LG Braunschweig sage und schreibe 36 Urteile zugunsten der Volkswagen AG. Das Landgericht Braunschweig sieht also im Gegensatz zu den meisten anderen Gerichten in Deutschland regelmäßig keinerlei Fehlverhalten bei VW. Ob diese konzernfreundliche Rechtsprechung auch politische Hintergründe hat, vermögen wir nicht zu beurteilen. Jedenfalls sollte man es aus prozesstaktischen Gründen tunlichst vermeiden, dort zu klagen.

Wo muss die VW-Musterfeststellungsklage nach den zwingenden gesetzlichen Vorschriften eingereicht werden? Bei dem OLG Braunschweig! Auch wenn bis auf einen Sonderfall noch keine Entscheidung des OLG Braunschweig zugunsten des VW-Konzerns ergangen ist, sichern sich die Landgerichte gerade bei Fällen von derart großem öffentlichen Interesse doch typischerweise beim Oberlandesgericht ab, ob ihre Rechtsprechung auch in nächster Instanz Bestand haben wird. Dass ausgerechnet das OLG Braunschweig über die grundlegende Frage zu entscheiden haben wird, ob die Volkswagen AG für ihre „Tricksereien“ haftet oder nicht, ist daher nach unserer Auffassung „äußerst unglücklich“.

Mitgegangen, Mitgefangen

Die Erfolgsaussichten der VW-Musterfeststellungsklage sind daher nicht gerade als rosig einzuschätzen. Die Entscheidung des OLG Braunschweig, ob VW auf Schadensersatz haftet oder nicht, hat jedoch bindende Wirkung. Wenn der vzbv also verliert, sind alle Betroffenen, die sich der Klage durch Eintragung im Register angeschlossen haben, an die negativen Feststellungen gebunden. Schadensersatzansprüche können sodann auch nicht mehr vor einem anderen, ggf. „verbraucherfreundlicheren“ Gericht geltend gemacht werden.

Zwar kann das Musterfeststellungsverfahren auch durch einen Vergleich beendet werden. Dass sich die Volkswagen AG auf einen Vergleich mit vielen Geschädigten einlassen wird, ist sehr unwahrscheinlich. Denn anders als in den USA hat VW in Deutschland „freiwillige“ bzw. durch den dortigen Druck der US-Regierung motivierte Entschädigungszahlungen kategorisch abgelehnt.

Lange Dauer des Musterverfahrens

Der Musterfeststellungsprozess selbst wird mehrere Jahre dauern. Voraussichtlich ab Mitte November können sich Verbraucher der Musterklage anschließen. Anfang 2019 wird das Verfahren sodann in erster Instanz beim OLG Braunschweig gestartet. Nachdem viele grundlegende Fragen durch das Gericht geklärt werden müssen, ist mit einer Verfahrensdauer von mindestens drei Jahren zu rechnen. Danach werden ja nach der Entscheidung des OLG Braunschweig entweder der vzbv oder die Volkswagen AG die Feststellungen mit Rechtsmitteln angreifen, sodass eine endgültige Klärung erst durch den Bundesgerichtshof herbeigeführt werden wird. Dies dürfte nochmals einige Jahre in Anspruch nehmen. Im Kapitalmarktrecht gibt es bereits seit 2005 das sog. „Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz’“, um die Klagen geschädigter Anleger zu bündeln. Man denke an den prominentesten Fall gegen die Deutsche Telekom. Dort dauert das Verfahren bereits mehr als zehn Jahre und der Kläger ist mittlerweile verstorben.

Zusätzliche Einzelklage auch im Erfolgsfalle erforderlich

Doch damit nicht genug. Wenn das Musterverfahren sodann durch eine rechtskräftige Entscheidung nach einigen Jahren abgeschlossen ist, sind im besten Falle lediglich Vorfragen zu Gunsten des Verbrauchers geklärt. An sein Geld kommt er noch lange nicht.

Wer einen Schadenersatzanspruch individuell durchsetzen will, muss vielmehr erneut klagen. Hier hilft ihm die neue Musterfeststellungsklage überhaupt nichts. Es liegt auf der Hand, dass auch durch dieses zweistufige Verfahren der Prozess insgesamt erheblich verzögert wird und nach endgültigem Abschluss die meisten der Diesel-Fahrzeuge längst das Zeitliche gesegnet haben werden.

Fazit

Die Musterfeststellungsklage erweist sich im Ergebnis für vom Dieselskandal betroffene Verbraucher leider als Mogelpackung. Wer auch vor dem Hintergrund der drohenden Fahrverbote eine schnelle Lösung erreichen will, sollte seine Ansprüche jetzt individuell geltend machen. Die Uhr tickt. Bereits mit Ablauf des 31.12.2018 werden Ansprüche gegen die Volkswagen AG verjähren und können daher nicht mehr durchgesetzt werden.

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